Thema: Canadian Whisky
Rye, Regeln & die 9,09%-Lüge
Oh, Canada… Mehr als nur mild?
Kanadischer Whisky. Was fällt einem dazu ein? Crown Royal im lila Beutel. Canadian Club. Und irgendwie… “mild”. Oft wird er auch pauschal als “Rye” bezeichnet. Das ist, wie so oft, nur die halbe Miete und teilweise sogar falsch.
Kanada hat eine riesige Whisky-Tradition, war während der US-Prohibition der Dealer der Nation und hat einige der größten Destillerie-Komplexe der Welt. Aber die Regeln sind… sagen wir mal “flexibel”. Das macht kanadischen Whisky zu einem seltsamen Biest: Einerseits oft unterschätzt, andererseits manchmal schwer zu greifen.
Dieser Spickzettel erklärt, warum nicht jeder Canadian Whisky ein Rye ist, was es mit der berüchtigten 9,09%-Regel auf sich hat und wer die großen Player im Ahorn-Land sind.
Die Regeln: Alles ist (fast) erlaubt?
Vergesst die knallharten Gesetze aus Schottland oder Kentucky. Kanada ist der Wilde Westen der Whisky-Welt. Die Regeln sind minimal – und haben eine skurrile Lücke.
Die Basics (sehen erstmal normal aus)
- Muss in Kanada aus Getreidemaische gebrannt werden.
- Muss mindestens 3 Jahre in Holzfässern (max. 700 Liter) reifen.
- Muss mit mindestens 40% Alkohol abgefüllt werden.
- Darf Karamellfarbe (Zuckerkulör) enthalten.
- Muss “das Aroma, den Geschmack und Charakter, die allgemein Canadian Whisky zugeschrieben werden” besitzen. (Ja, das steht da wirklich so schwammig!)
Die 9,09%-Regel (Der WTF-Moment)
Das ist der Knaller: Kanadisches Gesetz erlaubt es, einem Whisky, der sich “Canadian Whisky”, “Canadian Rye Whisky” oder “Rye Whisky” nennt, bis zu 1/11 (also 9,09%) andere Spirituosen oder Wein hinzuzufügen!
Das können amerikanischer Whiskey, Brandy, Rum oder Sherry sein. Bedingung: Die Zusätze müssen selbst mindestens 2 Jahre alt sein.
Warum? Das ist ein historisches Relikt, um den Geschmacksprofilen amerikanischer Whiskeys (die oft süßer sind) näher zu kommen. Es wird nicht immer gemacht, aber es ist erlaubt und erklärt, warum manche Canadian Whiskys so… anders schmecken.
“Rye Whisky” ≠ Immer Roggen!
Historisch gesehen war Rye (Roggen) eine wichtige Zutat in Kanada. Deshalb wurde “Rye” zum Synonym für Canadian Whisky – auch wenn heute oft gar kein oder nur wenig Roggen drin ist!
Ein “Canadian Rye Whisky” muss nicht aus mindestens 51% Roggen bestehen (wie in den USA). Er kann theoretisch auch 95% Mais enthalten. Nur wenn explizit “100% Rye” draufsteht, ist auch nur Roggen drin.
Das ist maximal verwirrend, aber wichtig zu wissen.
Blending: Vor oder nach dem Fass?
Anders als in Schottland, wo Single Malts und Single Grains getrennt reifen und erst *danach* zum Blend vermischt werden, ist es in Kanada üblich (aber nicht Pflicht), die verschiedenen Getreidebrände (Mais, Roggen, Gerste etc.) direkt nach der Destillation zu mischen und diesen “Roh-Blend” dann gemeinsam in Fässer zu legen (“Blended at Birth”).
Das führt zu einem sehr integrierten, oft als “weicher” empfundenen Geschmacksprofil.
Geschichte: Wie Kanada zum Whisky-Dealer wurde
Die kanadische Whisky-Geschichte ist eng mit dem durstigen Nachbarn im Süden verbunden. Schon im 19. Jahrhundert gründeten Unternehmer wie Hiram Walker (Canadian Club in Windsor, direkt gegenüber von Detroit) und Joseph E. Seagram (Waterloo) riesige Destillerien.
Der absolute Boom kam aber mit der amerikanischen Prohibition (1920-1933). Plötzlich war Alkohol in den USA illegal. Kanada wurde zur Hauptquelle für Schmuggelware. Die großen kanadischen Destillerien produzierten rund um die Uhr, oft leichten, schnell gereiften Stoff, der über die Grenze (oder per Boot über die Großen Seen) geschafft wurde. Al Capone war ein guter Kunde.
Nach dem Ende der Prohibition brach der Markt ein, aber die gigantischen Produktionsanlagen blieben. Kanada spezialisierte sich auf milde, leicht zugängliche Blends, die oft als Mixer für Cocktails dienten. Dieses Image des “weichen” und “unspektakulären” Whiskys haftet ihnen teilweise bis heute an – obwohl sich in den letzten Jahren viel getan hat.
Stile & Die großen Player
Die kanadische Szene wird von wenigen riesigen Konzernen und Destillerien dominiert. Der typische Stil basiert auf dem Blending von zwei Komponenten:
Der typische Canadian Blend
Die meisten kanadischen Whiskys sind Blends. Sie bestehen in der Regel aus:
- Base Whisky: Das ist der Hauptanteil (oft 90%+). Meist ein sehr leichter, fast neutraler Brand aus Mais (manchmal Weizen), destilliert auf hohe Alkoholprozente in Column Stills. Er reift oft in gebrauchten Fässern.
- Flavouring Whisky: Ein kleinerer Anteil an geschmacksintensivem Whisky, meist aus Roggen (Rye), aber auch Gerste oder andere Getreide. Dieser wird oft in Pot Stills oder speziellen Column Stills gebrannt und reift meist in neuen oder aktiveren Fässern, um kräftige Aromen zu liefern.
Diese beiden Komponenten (oder mehrere davon) werden dann zum finalen Blend vermischt. Das Ergebnis ist oft sehr weich, süßlich und zugänglich.
Bekannte Blends: Crown Royal Deluxe, Canadian Club Premium, Wiser’s Deluxe, Gibson’s Finest Sterling.
Die Rückkehr des Rye: 100% Rye Whiskys
Als Gegenbewegung zum oft maislastigen Standard-Blend gibt es einen Trend zurück zum Roggen. Immer mehr Destillerien bringen Whiskys auf den Markt, die garantiert aus 100% Roggen bestehen.
Diese sind deutlich würziger, komplexer und trockener als die typischen Blends und erinnern eher an amerikanischen Straight Rye. Sie zeigen, was Kanada kann, wenn es will.
Bekannte 100% Ryes: Lot No. 40, Alberta Premium / Alberta Premium Cask Strength, Masterson’s 10 Year Old Straight Rye, WhistlePig (sourced oft aus Kanada).
Die Giganten: Wer macht das Zeug?
Anders als in Schottland gibt es nur wenige, aber dafür riesige Destillerien, die oft für viele verschiedene Marken produzieren. Die wichtigsten sind:
- Hiram Walker & Sons (Windsor, Ontario): Gehört Pernod Ricard. Heimat von Canadian Club, Wiser’s, Lot No. 40, Pike Creek. Eine der größten Destillerien Nordamerikas.
- Gimli Distillery (Gimli, Manitoba): Gehört Diageo. Hier wird Crown Royal hergestellt.
- Canadian Mist Distillery (Collingwood, Ontario): Gehört Sazerac. Macht Canadian Mist.
- Valleyfield Distillery (Salaberry-de-Valleyfield, Quebec): Gehört Diageo. Macht Seagram’s VO und andere Blends.
- Alberta Distillers (Calgary, Alberta): Gehört Beam Suntory. Spezialisiert auf 100% Rye Whisky, liefert an viele andere Marken (z.B. WhistlePig). Macht Alberta Premium.
Die Craft-Szene
Ähnlich wie in Deutschland gibt es auch in Kanada eine wachsende Zahl kleinerer Craft-Destillerien, die oft experimenteller arbeiten und auf lokale Zutaten setzen.
Namen wie Shelter Point (British Columbia), Still Waters (Ontario, macht Stalk & Barrel) oder Eau Claire Distillery (Alberta) zeigen, dass sich auch abseits der Giganten etwas tut.
Wichtige Begriffe (Kanada-Edition)
Base Whisky
Der leichte, meist aus Mais gebrannte Hauptbestandteil vieler kanadischer Blends. Liefert Alkohol und eine weiche Textur, aber wenig Eigengeschmack.
Flavouring Whisky
Der geschmacksintensive Anteil im Blend, oft aus Roggen (Rye). Wird dem Base Whisky beigemischt, um Charakter und Komplexität zu erzeugen.
9,09% Rule (1/11 Rule)
Die legale Erlaubnis, bis zu 9,09% andere, mindestens 2 Jahre alte Spirituosen oder Wein zum Canadian Whisky hinzuzufügen. Wird nicht immer genutzt, ist aber möglich.
“Rye” als Synonym
Historisch bedingt wird “Rye” in Kanada oft als allgemeiner Begriff für Canadian Whisky verwendet, auch wenn kaum oder kein Roggen enthalten ist. Nur “100% Rye” garantiert Roggen.
Unterm Strich
Canadian Whisky ist mehr als nur der “nette, milde Nachbar” aus dem Norden. Die lockeren Regeln (vor allem die 9,09%-Sache) sind zwar skurril, aber die Blending-Tradition hat auch viel Gutes hervorgebracht. Und die Rückbesinnung auf 100% Rye zeigt, dass Kanada auch anders kann.
Es lohnt sich, genauer hinzuschauen – auch wenn man manchmal nicht genau weiß, was man da im Glas hat. Cheers, eh!